Wir befinden uns vor dem Rathaus Schöneberg in Berlin, es ist Anfang Dezember 2018. Hier haben sich Sexarbeiter*innen versammelt, um gegen ein neues Gesetz zu demonstrieren. Viele haben rote Regenschirme mitgebracht, die teilweise mit politischen Forderungen beschriftet sind. An diesem Tag protestieren die Aktivist*innen gegen eine spezifische Regelung des Gesetzes: die Pflicht, sich als Sexarbeiter*in registrieren zu müssen und bei der Arbeit immer einen “Hurenausweis” bei sich zu tragen. Der rote Regenschirm ist seit 2001 ein Symbol für die Internationale Hurenbewegung. Erstmals tauchten rote Regenschirme bei einer Performance im Rahmen der Venedig Biennale auf und werden seitdem von Sexarbeiter*innen auf der ganzen Welt für ihre politische Arbeit eingesetzt. Für viele ist der rote Regenschirm ein Symbol für den Schutz, den Sexarbeiter*innen sich selbst aufbauen müssen, da der Staat ihnen diesen Schutz verweigert.

Quelle: https://editionf.com/interview-josefa-nereus-wissen-macht-sex
In Deutschland gilt seit Juli 2017 das Prostituiertenschutzgesetz. Es wurde von der deutschen Bundesregierung verabschiedet, obwohl es von Anfang an massive Kritik von Sexarbeitsverbänden und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen gab.
Warum wurde das Prostituiertenschutzgesetz trotz der Kritik auf den Weg gebracht?
Die Bundesregierung hat das Gesetz damit begründet, dass es das Selbstbestimmungsrecht von Sexarbeiter*innen stärken und außerdem Menschenhandel, Gewalt und Zuhälterei bekämpfen würde. Das ist ein wichtiger Punkt, weil daran deutlich wird, dass Prostitution häufig in einem Atemzug mit Menschenhandel erwähnt und sogar damit gleichgesetzt wird. So als gäbe es keine Sexarbeiter*innen, die nicht von Menschenhandel betroffen sind und keinen Menschenhandel außerhalb der Sexarbeitsbranche. Das Prostituiertenschutzgesetz basiert ebenfalls auf dieser Annahme und hat damit fatale Auswirkungen auf Sexarbeiter*innen. Unter dem Vorwand sie schützen zu wollen, werden ihnen zahlreiche Pflichten auferlegt. So etwa die Registrierungs- und Ausweispflicht. Doch durch die Existenz einer Liste mit den Namen aller in Deutschland arbeitenden Sexarbeiter*innen steigt das Risiko für ein Zwangsouting, was nicht zum Schutz von Sexarbeiter*innen beiträgt, sondern gefährlich für sie werden kann.